Und sie zogen Jeremia herauf aus der Zisterne an den Seilen.
Jer 38,13
"Wer in dieser Stadt bleibt, der wird durch Schwert, Hunger und Pest sterben müssen; wer aber hinausgeht zu den Chaldäern (Babyloniern), der soll am Leben bleiben und wird sein Leben wie eine Beute davonbringen". Das sagt der Prophet Jeremia im Auftrag Gottes. Da ist nicht einmal kritische Solidarität mit dem König und der Stadt Jerusalem, da ist nur ein kompromißloses Nein ohne jedes Ja zu Kampf und Krieg und Waffen. Wer hinausgeht aus der Stadt zu Nebukadnezar, der wird sein Leben retten. Es geht nicht darum, zum Feind überzulaufen, sondern den Kriegszustand zu beenden. Die Stadt soll dem Feind übergeben werden und er soll sie einnehmen. Wehrkraftzersetzung ist das, dem eigenen Volk, der eigene Regierung in den Rücken fallen.
Was macht man mit einem, der solches angeblich im Auftrag Gottes in den Straßen ruft? Die Berater des Königs wissen, was zu tun ist: "Laß doch diesen Mann töten, denn auf diese Weise nimmt er den Kriegsleuten den Mut. Dieser Mann sucht nicht, was dem Volk zum Heil, sondern zum Unheil dient." So geht man mit den Phantasten um, so wird man fertig mit denen, die darauf beharren, daß Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll. Denn nicht Heil, sondern Unheil kommt durch die Waffen.
Und der König Zedekia sprach zu seinen Beratern: "Siehe, er ist in eurer Hand; denn der König vermag nichts wider euch!" Und was dann geschieht, ist nicht genau zu rekonstruieren. Entweder warfen die flinken Berater des Königs Jeremia in die Zisterne oder sie ließen ihn an Seilen hinab. Auf jeden Fall: Jeremia landet in der Zisterne, in der kein Wasser ist, sondern Schlamm, und Jeremia sank in den Schlamm. Er macht die Erfahrung des Beters des 69. Psalms: Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist. Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muß auf meinen Gott. Die mich ohne Grund hassen, sind mehr als ich Haare auf dem Haupt habe. Das sind Zisternenerfahrungen, die auch Gottes beste und treueste Menschen machen: ich versinke in dem Schlamm. Und wer hört sie dann, wenn sie rufen, wenn sie sich die Kehle wund geschrien haben – auch nach ihrem Gott?
Ebed-Melech, der Mohr, ein Farbiger, ein Ausländer und doch Kämmerer des Königs, hört von diesen Ereignissen, redet mit dem König, erwirkt vom schwachen und unsicheren König, daß er Jeremia aus der grausigen Grube, aus dem tiefen Schlamm ohne Grund ziehen darf. Jetzt, wo Ebed-Melech, der Ausländer und Freund Jeremias, vor ihm steht, sagt der König: "Nimm dir drei Männer und ziehe Jeremia aus der Zisterne bevor er stirbt". Und Ebed-Melech tut dies und noch mehr: Aus der Kleiderkammer des Königs holt er zerrissene, alte Lumpen und läßt sie an einem Seil zu Jeremia hinab in die Zisterne. "Leg die Lumpen unter deine Achseln um das Seil", damit es nicht ins Fleisch schneidet, wenn wir dich aus dem tiefen Schlamm der grausigen Grube ziehen. Und sie zogen Jeremia herauf aus der Zisterne an den Stricken. So kann Jeremia für diesmal einstimmen auch in das Danklied des Beters des 40. Psalms:Ich harrte des Herren, und er neigte sich zu mir und hörte mein Schreien.
Er zog mich aus der grausigen Grube, aus lauter Schmutz und Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels, daß ich sicher treten kann; er hat mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben, zu loben unseren Gott. Das werden viele sehen und sich fürchten und auf den Herren hoffen. Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herren! (Ps 40, 2-5a). Jeremia blieb übrigens im Wachthof – in der Nähe der Zisterne -, bis Nebukadnezar die Stadt erobert hatte.
Machen Sie eigene Entdeckungen und sich selbst eine Freude, indem Sie bitte nachlesen: Jeremia 38, Psalm 69, Psalm 40